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27.03.2023

Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.

Die Themen dieser Woche:

  • Streit um Methoden und Inhalte des Mathematikunterrichts
  • Hochschulsport, seine ökonomische Dimension und der Supreme Court
  • Ausgebliebene Welle von Hochschulschließungen
  • Kurznachrichten

Liebe Leserinnen und Leser,

 

wir befassen uns dieser Ausgabe mit einem in Kalifornien entbrannten Streit um Methoden und Inhalte des Mathematikunterrichts und vor dem aktuellen Hintergrund der auch „March Madness“ genannten Finalrunde im College-Basketball der Herren mit den anhaltenden Auseinandersetzungen um den Amateur-Status der Athleten. Wir werfen zudem einen Blick auf die trotz aller Cassandra-Rufe erstaunliche finanzielle Stabilität der US-Hochschullandschaft und – wie immer – auf verschiedene Kurzmeldungen.

 

 

Ich wünsche eine interessante Lektüre.

 

Herzliche Grüße,

 

Stefan Altevogt

Streit um Methoden und Inhalte des Mathematikunterrichts

Mathematik ist in ihrer Eigenschaft als formale Sprache und Werkzeugkasten von Naturwissenschaften von grundlegender Bedeutung und eine adäquate Ausbildung in Mathematik entsprechend ein unumstrittener Bestandteil des schulischen Fächerkanons. Zunehmend umstritten sind allerdings Methoden und Inhalte des Mathematikunterrichts an Schulen.

In einem Beitrag warf der Chronicle of Higher Education zuletzt einen Blick auf das Thema und wählte als Einstieg einen unfreundlichen E-Mail-Austausch zwischen Jo Boaler, Professorin an Stanford University und eine der prominentesten Expertinnen in Fragen des Mathematikunterrichts, und Jelani Nelson, ein Informatik-Professor an der University of California at Berkeley. Letzterer fand eine E-Mail von Boaler in seiner Inbox mit der Feststellung, dass sie von seiner negativen Einstellung gegenüber dem neuen, von ihr für Kalifornien maßgeblich mit entwickelten „mathematics framework“ – 2021 dargelegt in einem California Mathematics Framework (CMF) – wüsste und dass sie sich mit allen rechtlichen Mitteln und zur Not auch mit Hilfe der Polizei gegen Nennung ihres Namens auf sozialen Medien wehren würde, wohin sich ein Teil der Debatte verlagert habe. Als Afro-Amerikaner habe Nelson sehr empfindlich auf die Drohung mit der Polizei reagiert und insgesamt habe die Auseinandersetzung zeitweise Temperaturen erreicht gehabt, die man nicht von einer Debatte um Lehrpläne und Didaktik für den Mathematikunterricht an Schulen erwarten würde. 

Willkommen in Amerikas Mathe-Krieg, so der Beitrag weiter, in dem es um alles oder nichts gehe, wenigstens aber, so Boaler, um eine „Mathe-Revolution“, die mit der Ansicht aufräumen wolle, Mathematik sei nur was für „Matheleute“, und die Disziplin – immerhin „Türsteherin“ am Eingang vieler Studienfächer mit großem Zukunftspotenzial – deutlich inklusiver machen wolle. Es heißt: „The Stanford professor [Boaler] is a ‘beacon of hope’, as one educator put it.”

Aber Boaler sei eben auch eine umstrittene Person, der vorgeworfen werde, Studien falsch zu interpretieren und kühne Behauptungen aufzustellen, für die für die es laut Bildungsexperten kaum Belege gäbe. Skeptiker befürchteten sogar, dass ihre Vorschläge die Mathematik verwässern und sie mit ihnen ihr Ziel eines gerechteren Bildungssystems selbst untergraben würde.

Unverdrossen arbeite sie aber weiter an einem Entwurf für einen Leitfaden für den Mathematikunterricht an öffentlichen Schulen im bevölkerungsreichsten Bundesstaat der USA und es werde erwartet, dass ein neuer Leitfaden den Unterricht nicht nur im Golden State prägen werde, wo sich derzeit die Leistungen der Schülerinnen und Schüler in Mathematik in die falsche Richtung entwickelten, sondern auch darüber hinaus im Rest des Landes, der ebenfalls mit nachlassenden Leistungen in Mathematik zu kämpfen habe.

Das zentrale Problem sei nach Auffassung von Boaler die erheblichen Leistungsunterschiede zwischen Kindern aus wohlhabenden, zumeist weißen oder asiatischen Elternhäusern und Kindern aus einkommensschwächeren Schichten, deren deutlich schwächeren Leistung in Mathematik sich nachfolgend durch die gesamte Bildungsbiografie ziehen würde. In den Augen ihrer Kritiker (es seien in der Tat überwiegend Männer) seien aber die Datengrundlagen für ihre Annahmen zu dürftig, mitunter sogar gar nicht mit dem in Deckung zu bringen, was sie demnach aus anderen als rein Mathematik-didaktischen Gründen betreibe.

Im Moment herrsche ein wenig Ruhe, da die genannte Frist zur Implementierung des CMF im vergangenen Juli ohne Aktionen abgelaufen sei, doch laut Bildungsministerium werde ein neuer Entwurf im späteren Frühjahr erscheinen. Es sein zwar unklar, wie die nächste Version aussehen werde, doch es werde damit gerechnet, dass sich an der Vehemenz der Diskussion nur wenig ändern würde. Es heißt: „The math wars will surely begin anew.”

 

Sie finden den Beitrag hier.

Hochschulsport, seine ökonomische Dimension und der Supreme Court

Die „March Madness“ genannte Endrunde der in der National Collegiate Athletic Association (NCAA) organisierten College-Herrenmannschaften bringt regelmäßig in den USA ein enormes Medieninteresse mit sich und damit gleichzeitig die immer wieder aufflammende Debatte um die Verteilung der beachtlichen dem Interesse entsprechend schweren ökonomischen Früchte von Hochschulsport und nachfolgend auch Hochschulsport allgemein.

Ein Beitrag in der New York Times meldete im Juni 2021 die Entscheidung des US Supreme Court, der zufolge die NCAA den „student athletes“ der Hochschulen nicht länger mit einem Hinweis auf den Status der Athleten als „Amateure“ grundsätzlich jegliche über den freien Studienplatz hinausgehende Bezahlung vorenthalten dürfe. Die Entscheidung habe ein weitergehendes Thema nicht ausdrücklich erwähnt, nämlich die Frage, ob Hochschulsportler ihre jeweilige individuelle Popularität bereits während ihrer aktiven Zeit im Hochschulsport in lukrative Werbeverträge ummünzen dürften. Dieser Marktaspekt – in den USA mit „names, images and likenesses (NIL)“ bezeichnet – sei in der Entscheidung zwar nicht ausdrücklich angesprochen worden, doch sei er sicherlich implizit ebenfalls gemeint gewesen. Aus einem Kommentar von Justice Brett Kavanaugh zitierte der Beitrag die Worte: „Nowhere else in America can businesses get away with agreeing not to pay their workers a fair market rate on the theory that their product is defined by not paying their workers a fair market rate. And under ordinary principles of antitrust law, it is not evident why college sports should be any different. The N.C.A.A. is not above the law.”

 

Sie finden den Beitrag hier.

 

Ein Meinungs-Beitrag in der New York Times zieht eine erste Bilanz des Handelns der NCAA nach der Entscheidung des Supreme Courts. Die Bilanz zeichne sich dadurch aus, dass zwar die Hochschulen ihre Athleten weiterhin nicht bezahlen würden, den Athleten mittlerweile in einer Reihe von Bestimmungen einzelner Bundesstaaten der Zugang zum NIL-Markt eröffnet worden sei. Die NCAA habe aber im Sinne des status quo nach wie vor ein Interesse daran, zu verhindern, dass Spieler als Angestellte ihrer jeweiligen Hochschulen anerkannt würden. Eine solche Anerkennung käme allen Spielern zugute und nicht nur denjenigen, die berühmt genug für den NIL-Markt seien. Das wäre dann ein Schritt in Richtung angemessener Gesundheitsversorgung und eine echte Anerkennung dessen, was Spieler für ihre Hochschulen leisten, nämlich harte Arbeit. Während die NCAA hier die Entwicklung zu bremsen versuche und die Verantwortlichen an Hochschulen abwarteten, dürfe man das eigentliche Problem nicht aus den Augen verlieren, das der Supreme Court mit einer seltenen Mehrheit von 9-0 Stimmen zu adressieren versucht habe. Es heißt: „The N.C.A.A. is still legalized exploitation. And that won’t change because a few athletes get to do a couple of commercials.”

 

Sie finden diesen Beitrag hier.

 

Ein weiterer Meinungsbeitrag versucht in der New York Times über die (eigentlich unübersehbaren) ökonomischen Aspekte des Hochschulsports in den USA hinwegzublicken und betont, dass Sportprogramme dem breiteren Bildungsauftrag der Hochschulen dienten und Sportler in erster Linie Studenten seien.

Der Beitrag blickt zurück auf die Geschichte der March Madness, deren Wurzeln in einem 1939 erstmals und noch ohne Fernsehübertragungen veranstaltetem Turnier lägen. Es sei so beliebt gewesen, dass es 1951 auf 16 Teams, 1975 auf 32 Teams und 1985 auf 64 Teams erweitert worden sei. 2001 habe man ein Qualifikationsturnier für die March Madness hinzugefügt, zehn Jahre später diese Qualifikationsrunde noch einmal erweitert, und mittlerweile zahlten Medienunternehmen jährlich Hunderte von Millionen Dollar und bald $1 Mrd. pro Jahr für das Recht, die Spiele zu übertragen. Mit der zunehmenden Popularität des Turniers sei auch der Wert eines Siegerteams und die Gehälter erfolgreicher Trainer gestiegen.

Derzeit laufe die Entwicklung der ökonomischen Aspekte des Hochschulsports deutlich in die falsche Richtung und es drohe eine Verwandlung von sehr kleinen Teilen des Sektors in einen reinen Profibereich, nicht mehr zu unterscheiden von den Profi-Ligen im US-Sport. Damit gefährdeten die Hochschulen den möglichen Nutzen des Hochschulsports für die Athleten, die zu 98% nach ihren Karrieren in den Hochschulmannschaften nicht im lukrativen Profi-Bereich landeten und für die die Hochschulbildung der wesentliche Nutzen sei. Es heißt: „Economists estimate a college degree is typically worth about $1 million in enhanced earning power in a lifetime. At our institution, 99 percent of student-athletes who stay for at least four years get a diploma. Because less than 2 percent of all our student-athletes [der Autor ist Präsident der University of Notre Dame] will play in their sport professionally, such a benefit is useful indeed.”

 

Sie finden diesen Beitrag hier.

Ausgebliebene Welle von Hochschulschließungen

Unter der Überschrift „When It Comes to College Closures, the Sky Is Never Going to Fall” zeichnet ein Beitrag im Chronicle of Higher Education nach, dass sich bislang die zahlreichen Prognosen zur Schrumpfung der Hochschullandschaft in den USA nicht bewahrheitet hätten. Weder habe die Rezession infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008, die Entwicklung der MOOCs oder die anhaltenden demografischen Veränderungen, noch die Pandemie zu einem Massensterben von Hochschulen geführt, von denen vor allem solche als stark gefährdet angesehen würden, deren Studierendenzahl unter 1.000 absinke.

Der Autor vermutet, dass es eine Verzerrung des journalistischen Blicks gäbe, der die Entwicklung der Landschaft über die statistische Evidenz hinaus stark dramatisieren würde. Er schreibt: „Undeniably, the death of a college, or the possible deaths of many colleges, is a great story for journalists who cover higher education. There may be beleaguered administrators, head-shaking alumni, and worried students to profile. (...) There may be entrails to read and fortunes to cast about the future of institutions with iffy balance sheets, and anyone who works at a college that isn’t rolling in students and endowment money will probably click.”

Entgegen vieler Kassandra-Rufe seien College-Schließungen bislang eher selten und Daten des Postsecondary Education Participation System zeigten, dass in den letzten acht Jahren pro Jahr zwischen fünf und zwölf vierjährige gemeinnützige Colleges geschlossen worden seien, eine eher durchschnittliche Zahl, wenn man bis in das Jahr 2000 zurückblicke.

Würde man den gewinnorientierten Sektor der Hochschullandschaft mit in den Blick nehmen, ändere sich allerdings die Statistik. Laut Zahlen einer Unternehmensberatungsfirma seien denn seit 2000 mehr als 300 Hochschulen geschlossen worden, von denen etwa 80% weniger als 1.000 Studierende gehabt hätten. Möglicherweise gäbe es zeitliche Verzögerungen zwischen den Veränderungen der ökonomischen und demografischen Rahmenbedingungen für Hochschulen und ihren möglichen Schließungen, möglicherweise stünde derzeit tatsächlich ein Massensterben bevor, das der Autor nur noch nicht sehen könne, doch halte er ein drittes Szenario für wahrscheinlicher: „Colleges (...) that delay or don’t have resources to invest might find themselves changing, too, but perhaps in ways they might not want or otherwise choose. Merger, acquisition, or even closure might lie at the end of the latter path, but colleges don’t just keel over out of nowhere. They close at the end of a long series of decisions, actions, or perhaps inactions.”

 

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Kurznachrichten

Inside Higher Education meldet Studierendenproteste gegen den Präsidenten der West Texas A&M University, der in einem Meinungsbeitrag seine Entscheidung begründet habe, eine Drag-Show, also eine Unterhaltungsveranstaltung mit karikaturhaften Überzeichnungen von Gender-Stereotypen, auf dem Campus zu untersagen. Teile der Begründung des Verbots einer Veranstaltung, mit der die LGBTQ-Community Geld zu Betreuung suizidgefährdeter Studierender habe einsammeln wollen, seien nicht so einfach als nur LGBTQ-feindlich von der Hand zu weisen. Er schreibe: „Drag shows are derisive, divisive and demoralizing misogyny, no matter the stated intent (...) drag shows stereotype women in cartoonlike extremes for the amusement of others.”

 

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Ein Beitrag im Chronicle of Higher Education befasst sich ebenfalls mit dem Thema und zitiert dabei auch ein deutlich schwächeres Argument des Präsidenten der West Texas A&M, nämlich: „Being created in God’s image is the basis of Natural Law.“ Die Studierenden planten für diese Woche Proteste auf dem Campus. Eine Online-Petition, die die Universität auffordere, die Drag-Performance wieder einzuführen, habe bis bereits über 5.500 Unterschriften erhalten.

 

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Inside Higher Education meldet die Entscheidung eines Berufungsgerichts, der zufolge eine Sammelklage gegen New York University auf Rückerstattung von Studiengebühren zulässig sei, die zu Pandemiezeiten zwar bezahlt worden seien, aber nicht den gewohnten Unterricht gekauft habe. Damit schließe sich das Gericht der Auffassung an, dass eine mögliche Klage von Eltern von Studierenden gegen die Hochschule wegen Vertragsbruch und ungerechtfertigter Bereicherung sowohl Anlass wie auch Erfolgsaussichten habe. 

 

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Der Chronicle of Higher Education meldet den Rücktritt der Präsidentin des Connecticut College, Katherine Bergeron, nach anhaltendem Druck auf sie für ihre Pläne, einen Fundraiser im Everglades Club in Palm Beach, Florida abzuhalten, ein Veranstaltungsort, der eine Geschichte der Exklusion von jüdischen und afroamerikanischen Gruppen habe.

 

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