23.01.2023

Nordamerika Nachrichten
Dieser Newsletter informiert deutschsprachige Leser über aktuelle Entwicklungen und Trends im Hochschulwesen der USA und Kanada.

Die Themen dieser Woche:

  • ChatGPT
  • TikTok
  • „Affirmative Action“: Fluch oder Segen?
  • Kurznachrichten

Liebe Leserinnen und Leser,

 

wir befassen uns dieser Ausgabe mit den Wellen, die das Programm ChatGPT derzeit in der nordamerikanischen Hochschullandschaft schlägt, und mit den Bedenken von US-Hochschulen gegen den Gebrauch der chinesischen Video-Plattform TikTok. Wir werfen zudem einen Blick auf die für Juni erwartete Entscheidung des US Supreme Courts zur Zulässigkeit von „Affirmative Action“ und – wie immer – auf verschiedene Kurzmeldungen.

 

Ich wünsche eine interessante Lektüre, Gesundheit und Zuversicht.

 

Stefan Altevogt

ChatGPT

In der vergangenen Ausgabe berichteten wir über einen Beitrag auf Inside Higher Education, der sich mit den mittlerweile beachtlichen Erfolgen des Ende 2022 vorgestellten Chatbots ChatGPT befasste und zur Gelassenheit bezüglich der Frage riet, ob künstliche Intelligenz Vermittlung und Abprüfung von Bildungsinhalten komplett auf den Kopf stellen würde. Trotz aller Mahnungen zu Gelassenheit hat sich das von der Firma OpenAI im November vergangenen Jahres vorgestellte Programm ChatGPT (das GPT steht für „Generative Pre-trained Transformer“) zu einem an nordamerikanischen Hochschulen derzeit intensiv und kontrovers diskutierten Thema entwickelt, vor allem weil das Programm Dinge tun kann, die Bildungsinhalten an Hochschulen zum Verwechseln ähneln.

 

Beth McMurtrie unterhält als Bildungsexpertin im Chronicle of Higher Education einen Blog zur Lehre an Hochschulen und hatte sich bereits im Dezember mit der Frage auseinandergesetzt, ob ChatGPT das Ende des College Essays bedeuten würde und was es bedeute, wenn die Antwort auf die Frage „ja“ lauten würde. Sie schrieb: „Is the college essay dead? Are hordes of students going to use artificial intelligence to cheat on their writing assignments? Has machine learning reached the point where auto-generated text looks like what a typical first-year student might produce?”

Soziale und Bildungsmedien würden derzeit mit Fragen überschwemmt, was es für Bildung insgesamt bedeute, wenn jeder Schüler oder Student mit Hilfe eines Computerprogramms wie ChatGPT zu jedem beliebigen Thema einen Aufsatz erstellen könne, der sich aus einer endlosen Mengen digitaler Internet-Texte speise und dessen Qualität locker die Anforderung der Mittelmäßigkeit erfüllen könnte. Die einzig valide Antwort auf diese Frage könne nur sein, dass Tools wie ChatGPT in der einen oder anderen Form Teil des alltäglichen Schreibens würden, so wie Taschenrechner und Computer auch zu einem festen Bestandteil in Mathematik und Naturwissenschaften geworden seien. Es sei darum sehr wichtig, mit Schülern und Kollegen darüber zu sprechen, wie Werkzeuge wie ChatGPT als Hilfsmittel und nicht als Ersatz für das Lernen genutzt werden könnten. Akademiker müssten auch erkennen, dass ihre ersten und beinahe schon panischen Reaktionen ebenso viel über ihre eigenen dunkelsten Ängste in Bezug auf die Hochschulbildung aussagten wie über die Bedrohungen und Versprechungen einer neuen Technologie. Solche Ängste seien gespeist aus der Vision eines Studiums als einer transaktionalen Erfahrung, bei der das Erledigen von Aufgaben wichtiger geworden sei als die Herausforderungen des Lernens. Die Aufgaben und Beurteilungen seien dabei so formelhaft, dass niemand erkennen könne, ob sie ein Computer erledigt habe, und die Lehrkräfte seien zu überlastet, um ihre Studenten zum wirklichen Lernen zu motivieren. Sie schreibt: „’Academia really has to look at itself in the mirror and decide what it’s going to be,’ said Josh Eyler, director of the Center for Excellence in Teaching and Learning at the University of Mississippi, who has criticized the ‘moral panic’ he has seen in response to ChatGPT. ‘Is it going to be more concerned with compliance and policing behaviors and trying to get out in front of cheating, without any evidence to support whether or not that’s actually going to happen? Or does it want to think about trust in students as its first reaction and building that trust into its response and its pedagogy?’”

 

Sie finden den Beitrag hier.

 

In einem weiteren Beitrag verneint McMurtrie die Frage, ob man Aufgaben an Studierende auch so stellen könne, dass sie nicht von künstlicher Intelligenz gelöst werden könnten. Ob nun gleich von ChatGPT produzierte Lösungen präsentiert würden, oder welche, bei denen künstliche Intelligenz wesentliche Hilfestellung geleistet habe, in jedem Fall seien individuelle Leistungen vor dem Hintergrund bestehender technischer Mittel nicht mehr in der klassischen Weise bewertbar. Das müsse dann direkte Auswirkungen darauf haben, in welcher Art künftig Aufgaben gestellt werden müssten. Sie schreibt: „Maybe you allow students to produce a podcast instead of writing a paper. Or you create fewer writing assignments, but build in more feedback and revision to the ones you keep. Or you try prompts whose answers are less likely to be found on the internet. Of course, there is always another option, which is to invest in detection software. Already several tools on the market promise to do that. But many digital-learning experts say that’s a losing game – tech will keep advancing, and students will find ways around detection tools. Nor do most instructors want to become writing police.”

 

Sie finden diesen Beitrag hier.

 

In einem Beitrag auf Inside Higher Education ist sich Jim Jump, ehemaliger Präsident des National Association for College Admission Counseling, sicher, künstliche Intelligenz immerhin aus den normalerweise mit Essays einhergehenden Zulassungsverfahren für Studienplätze heraushalten zu können. Man müsse sich einfach nur die Zeit nehmen, die Essays auch gründlich zu lesen, und es würden einem die maschinell hergestellten Aufsätze auch als solche auffallen. Er schreibt: „I’m far from convinced that ChatGPT can produce great college essays. Great essays have a spark to them that is not about the ability to write but rather the ability to think. Great personal essays are clever and insightful, with an authenticity and a sincerity that’s – well, personal.” Er räumt ein, seine Skepsis gegenüber den schriftstellerischen Fähigkeiten von ChatGPT könne ihn als Dinosaurier, Träumer oder Romatiker entlarven und es wäre nicht das erste Mal.

 

Sie finden diesen Beitrag hier.

 

Ein Beitrag auf Inside Higher Education beleuchtet den nachvollziehbaren, aber im Sinne von McMurtrie nur wenig zielführenden Reflex, sich auf einen „Rüstungswettlauf“ mit Schülern und Studierenden einzulassen, die Programme wie ChatGPT zum Vortäuschen von Bildung benutzten. Man könne zwar künstliche Intelligenz auch darauf verwenden, mit künstlicher Intelligenz generierte Texte als solche zu identifizieren, doch seien solche Versuche allein deswegen zum Scheitern, verurteilt, weil ein gutes Computerprogramm nach Lektüre von ausreichend „original-menschlichen“ Texten lernen sollte, die Attribute des „Menschlichen“ zu täuschend echt zu imitieren. Es heißt: „In this cat-and-mouse game, some computer scientists are working to make AI writers more humanlike, while others are working to improve detection tools. Academic fields make progress in this way. But some on the global artificial intelligence stage say this game’s outcome is a foregone conclusion.”

 

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TikTok

Laut Inside Higher Education seien Experten und Studierende der einhelligen Meinung, dass eine mittlerweile verbreitete Sperrung des chinesischen Kurzvideo-Programms TikTok an US-Hochschulen nur wenig sinnvoll sei, weil Studierende durch den Gebrauch privater Internetverbindungen leicht Mittel und Wege zur Umgehung der von den Hochschulen auf deren Netzwerken etablierten Sperren finden würden. Dennoch müsse das durch TikTok ausgehende Gefährdungspotenzial ernstgenommen werden. Es heißt: „Increased scrutiny of the app emerged after FBI director Chris Wray voiced national security concerns about it in December. TikTok, which is owned by the Chinese company ByteDance, collects a wealth of user data – including, according to lawsuits against the app, information about users’ faces, voices and fingerprints – which leaders worry will be used by the Chinese government to spy on or blackmail users in the U.S. (TikTok has said that all its data are stored in the U.S. and Singapore.)”

 

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„Affirmative Action“: Fluch oder Segen?

Ein Beitrag in der New York Times geht davon aus, dass der US Supreme Court in den beiden derzeit anhängigen Klagen gegen Harvard University und die University of North Carolina die derzeit noch gängige Praxis der „Affirmative Action“, also der gezielten Förderung von an Elitehochschulen noch unterrepräsentierten Gruppen, als nicht zulässig erklären werde. Viele Bildungsexperten seien der Meinung, dass die allgemein erwartete Entscheidung nicht nur die Zulassungsverfahren der Hochschulen verändern werde, sondern auch seit langem etablierten Strategien gefährden würden, mit denen die Colleges des Landes für mehr Diversität ihrer Anfängerkohorten sorgen wollten. Es heißt: „Many education experts say that such a decision could not only lead to changes in who is admitted, but also jeopardize long-established strategies that colleges have used to build diverse classes, including programs that are intended to reach specific racial and ethnic groups for scholarships, honors programs and recruitment.”

Der Beitrag erinnert an ein erstes Beispiel einer solchen gezielten Maßnahme, mit der Wesleyan University, ein kleines aber feines Liberal Arts College in Middletown, Connecticut, 1964 begann, Studierende auch aus anderen Bevölkerungsgruppen als dem seinerzeit noch weitgehend weißen oberen Mittelstand zu rekrutieren. Man habe seinerzeit gezielt 400 schwarze Oberschüler im ganzen Land mit dem Ziel angeschrieben, sie zu einer Bewerbung zu bewegen. Es heißt: „The outreach led to the enrollment of what became known as Wesleyan’s ‘vanguard’ class – one Latino and 13 Black students – which helped establish the university’s commitment to diversity.”

Laut Beitrag würden von der für Juni erwarteten Entscheidung des Supreme Courts etwa 200 Hochschulen des Landes betroffen sein, die in dem Sinne als „selective“ gälten, dass sie weniger als die Hälfte aller Studienbewerber zulassen würden. Diese Hochschulen hätten allerdings auch nach Jahrzehnten der gezielten Förderung von unterrepräsentierten Schichten große Probleme, ihre Anfängerklassen so gemischt aussehen zu lassen wie die Bevölkerung des Landes insgesamt.

Eine Folge der Rücknahme von „Affirmative Action“ werde zudem sein, dass selektive Hochschulen vermutlich auch andere Abweichungen vom Grundprinzip rein meritokratischer Zulassungsentscheidungen auf den Prüfstand stellen müssten. So gibt es zum Beispiel besondere Zulassungswege für Kinder von Alumni, über Sportprogramme, mit denen Kinder von sehr zahlungskräftigen Eltern Plätze an selektiven Hochschulen finden können, und standardisierte Tests, die vor allem zeigten, wieviel Investitionen in Vorbereitung sich die Eltern der Studienbewerber leisten könnten. Es heißt hierzu: „Those rollbacks could then help spur colleges to end other admissions practices that critics say have historically benefited the well-heeled. Some schools have already ended their standardized test requirements and preferences for children of alumni. There is also pressure to end early decision, which admits applicants before the general deadline.”

 

Sie finden den Beitrag hier.

Kurznachrichten

Research Infosource hat ihr Ranking der 50 führenden kanadischen Forschungshochschulen aktualisiert und listet im „Winners Circle“ in drei „Gewichtsklassen“ (Medical, Comprehensive und Undergraduate) und in vier Kategorien (Research Income, Research Income Growth, Faculty Research Intensity und Graduate Student Research Intensity) unter anderem folgende Ergebnisse: Mit Forschungsausgaben von fast Can$1,5 Mrd. führt in absoluten Zahlen bei Hochschulen mit (kostenintensiver) Medizin nur wenig überraschend die University of Toronto vor der University of British Columbia (Can$726 Mio.) und der McGill University (Can$687 Mio.). Was allerdings überraschen könnte, ist die Prominenz von Hochschulen aus Quebec im „Winners Circle“. So führt die Université TÉLUQ in der Gewichtsklasse Undergraduate Institution in der Kategorie Research Income Growth mit 49% vor der Université du Québec à Trois-Rivières (32%) und der Université du Québec en Abitibi-Témiscamingue (26%). In derselben Gewichtsklasse führt in der Kategorie Forschungsmittel pro Fakultätsmitglied (Faculty Research Intensity) die Université du Québec à Rimouski mit Can$175.000 vor der Université du Québec en Abitibi-Témiscamingue (Can$160.000) und der Université du Québec à Chicoutimi (Can$115.000).

 

Sie finden das Ranking hier.

 

Inside Higher Education zitiert eine Meldung des Miami Herald, der zufolge das Bildungsministerium im US-Bundesstaat Florida den öffentlichen Schulen untersagt habe, weiterhin die von College Board entwickelten und betreuten Advanced Placement-Kurse in African American Studies anzubieten, weil sie in den Augen der Administration nur geringen erzieherischen Wert hätten. Man vermute hinter der Aktion politische Gründe. Es heißt: „When asked for specifics on the content, the Florida Department of Education did not respond, making it unclear what items the state believes are unlawful or objectionable. The course would be offered by the College Board, which administers the Advanced Placement program and the SAT exam.”

 

Sie finden die Meldung hier.

 

Die New York Times meldet, dass nun auch die Columbia University einen Platz in den Reihen von Elitehochschulen gefunden habe, die erstmals eine Frau an die Spitze berufen hätte. Es heißt zu den aktuellen Herausforderungen für die Ökonomin Nemat Shafik: „She will assume the Columbia presidency in July, succeeding Lee C. Bollinger, at a tumultuous time in the academic world. Universities face a pending Supreme Court decision on affirmative action, as well as debates over free speech and the high cost of education, college rankings, pay for teaching assistants and other issues.”

 

Sie finden diese Meldung hier.

 

Ein Beitrag befasst sich in der New York Times mit der Frage, ob Schulen in den USA den Eltern ihrer Schülerinnen und Schüler mitteilen sollten, wenn sie an der Schule in ein anderes Geschlecht wechseln möchten, eine Frage, die in den vergangenen Jahren deutlich an Relevanz gewonnen habe. Es heißt: „Although the number of young people who identify as transgender in the United States remains small, it has nearly doubled in recent years, and schools have come under pressure to address the needs of those young people amid a polarized political environment where both sides warn that one wrong step could result in irreparable harm.”

 

Sie finden den Beitrag hier.

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